Faustverhunzung made in China

Nicht nur in europäischen Gefilden betreibt man Bilderstürmerei – ob nun mit bösen Absichten oder im Glauben, Goethe verbessern zu müssen oder können. Der chinesische Dramatiker Shenlin (沈林) konnte mit seinem Stück “Faust. Eine Raubkopie” (盗版浮士德) große Erfolge auf der Pekinger Bühne verzeichnen, wo es zu Goethes 250. Geburtstag uraufgeführt wurde. Es ist ein wildes Sammelsurium aus Originaldialogen (z.B. der Kerkerszene), anderen Versatzstücken über Goethe mit einer starken, bis ins Lächerliche gezogenen Modernisierung (Mephisto als Fernsehregisseur, Gretchen als Praktikantin, Faust im Auftrag der NASA auf dem Mond…). Die Verflachung ist vorprogrammiert – aber sehen wir anhand eines kurzen Ausschnittes, den ich übersetzt habe, selbst nach, was man im 21 Jhd. unter dem Namen “Faust” schreiben und aufführen kann.

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Vom Vermeidenswerten

Dieter E. Zimmer: Redens Arten

Dieter E. Zimmer: Redens Arten

Bevor man mit einer Übersetzung beginnt, kann es nicht schaden, wenn man sich einmal umsieht, was zur Technik des Übersetzens verfaßt worden ist – schon aber steht man im Bücherwald und weiß nicht ein noch aus. Einen amüsanten Einstieg in die häufigsten Fehler, die beim Übersetzen unterlaufen können, findet sich im Aufsatz „Wettbewerb der Übersetzer. Die einstweilige Unentbehrlichkeit des Humantranslators“ aus Dieter E. Zimmers Essayband Redens Arten.

Der Essay, ursprünglich erschienen in der Zeit im Jahre 1965, behandelt anhand einer unterhaltsamen Anekdote – dem Umstand, das Zimmer 620 Übersetzungen einer Prosaskizze von Graham Greene lesen und die beste auswählen mußte – die 16 häufigsten Probleme,  die beim Übersetzen auftreten können. Dieter E. Zimmer ist selbst Übersetzer und hat unter anderem viele Werke Nabokovs aus dem Englischen ins Deutsche übertragen, so daß er auch seine eigenen Erfahrungen in den Aufsatz einfließen lassen konnte – seine These dabei ist, daß Übersetzungstheorien beim Übersetzen nicht helfen können – statt dessen bietet er einen Leitfaden dafür, was unbedingt zu Vermeiden sei.

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Wege nach Rom

Chinesisches Reimwörterbuch

Chinesisches Reimwörterbuch

Romanisierung, das heißt Umschreiben von Schriftzeichen in die lateinische Schrift, kann sowohl für chinesische als auch für japanische Texte eine nervenzermürbende Übung sein. Gerade bei Gedichten und natürlich auch bei Versdramen ist aber neben der Übertragung des Inhalts auch die der Form ein interessanter Untersuchungsgegenstand, und ein Rhythmus läßt sich nur dann feststellen, wenn man weiß, wie diese Zeichen eigentlich ausgesprochen werden sollen – man kommt also nicht um die Romanisierung.

Dem Übersetzer stellen sich auf seinem Weg nach Rom allerdings einige Hindernisse: An einem chinesischen bzw. sino-japanischen Schriftzeichen läßt sich nämlich nicht die Aussprache, nur bestenfalls der Sinn ablesen. Auch, wenn einige Zeichen lautbeschreibende Elemente haben, so hat sich die Sprache in den über 3000 Jahren chinesischer Schriftgeschichte inzwischen so weit verändert, daß es nicht mehr möglich ist, die genaue Aussprache oder gar den Ton oder Tonhöhenakzent daran abzulesen. Dafür gibt es ja die Wörterbücher, möchte man meinen: doch schon im Chinesischen, in dem es doch für ein Zeichen heute selten mehr als eine Aussprache gibt, kommt man da schnell in Schwierigkeiten.

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Übersetzung nach Zahlen

Gentes: Evaluation von Übersetzungen

Anne Gentes: Evaluation von Übersetzungen

Bei der Arbeit an den Goetheübersetzungen wird eine Beurteilung über die Qualität der Übersetzungen – sei es auch nur indirekt – nicht ausbleiben können. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen, sind daher Bücher für mich interessant, die schon das notwendige Handwerkszeug dafür mit sich bringen, aus dem ich mir dann das ein oder andere Hämmerchen zum Bearbeiten meiner eigenen Texte ausleihen kann.  Anne Gentes Untersuchung zur Evaluation von Übersetzungen – am Beispiel von Akutagawa Ryūnosuke: Kappa, das 2004 im iudicium-Verlag veröffentlicht wurde, schien da die richtige Wahl, denn schließlich verspricht es zu zeigen, wie man Übersetzungen bewerten kann.

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Ungenießbares

»Um dem Leser ohne sinologischen Hintergrund einen besseren Zugang zu “Der rote Stein” zu geben, aber auch das Verständnis für die auf den ersten Blick sehr fremden Hintergründe zu erleichtern, wurde bei der Übersetzung besonderer Wert darauf gelegt, auch dem „Anfänger“ in der Welt der asiatischen Literatur einen guten Einstieg zu gewährleisten. So wurden die eher unübersichtliche Personage von 283 auf leserverträgliche dreißig Figuren gekürzt, wobei besonderer Wert auf eine möglichst genaue Beibehaltung aller Beziehungen gelegt wurde. Um das zu erreichen, wurden dementsprechend einige Figuren, die vormals von verschiedenen Personen im Roman verkörpert wurden, gefühlvoll zusammengeschmolzen.

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Goethe zum Übersetzen

West-östlicher Divan

West-östlicher Divan

Obwohl Goethe bekanntermaßen aus mancherlei Sprachen übersetzte, hat er sich doch wenig theoretisch zum Übersetzen geäußert; nur hier und da finden sich einzelne Anmerkungen dazu. Der einzige etwas längere Aufsatz über die Kunst des Übersetzens steht im West-östlichen Divan. Bei der Beurteilung von Goetheübersetzungen in andere Sprache ist es sicher nicht uninteressant, was der Autor selbst für eine gute Übersetzung hielt, und so sei auch dieser Aufsatz hier einmal aufgeführt.

Übersetzungen

Da nun aber auch der Deutsche durch Übersetzungen aller Art gegen den Orient immer weiter vorrückt, so finden wir uns veranlaßt, etwas zwar Bekanntes, doch nie genug zu Wiederholendes an dieser Stelle beizubringen.

Es gibt dreierlei Arten Übersetzung. Continue reading ‘Goethe zum Übersetzen’ »

Diener zweier Herren

Gretchen stellt ihre Frage

Gretchen stellt ihre gleichnamige Frage

Jedem Übersetzer stellt sich spätestens bei der genaueren Ausformulierung des übersetzten Textes die – um beim Gegenstand zu bleiben – Gretchenfrage: Für wen schreibt man die Übersetzung? Die Antworten können so vielfältig sein wie die Leser: es läßt sich schreiben für sprachliches Fachpublikum, Philologen, Historiker, Ethnologen und so weiter und so fort, nicht zuletzt auch für gänzlich unbedarfte Leser, die sich einfach einen schönen, flüssig zu lesenden Text wünschen.

Die zwei interessantesten Fragen, die man mit einer Rückübersetzung zu beantworten versuchen kann, sind selbstverständlich: Wie gut übersetzt der Autor? und  Wie läßt sich der Originaltext in der Fremdsprache umsetzen? Diese beiden Fragen auf einmal beantworten zu wollen, bringt ein Dilemma mit sich: Möchte man die, womöglich gut gelungene, Übersetzung in ihrer sprachlichen Schönheit darstellen, muß man die Rückübersetzung wiederum in einen wohlklingenden Text verwandeln. Möchte man allerdings möglichst viel vom originalen Satzbau der Übersetzung durchscheinen lassen, so tut man dem Deutschen zwangsläufig, zumal bei entfernten Sprachen, Gewalt an.

Ein Beispiel sei genannt: Der zweite Vers Faustens bekannten Ausspruchs „Da steh’ ich nun, ich armer Tor! / Und bin so klug als wie zuvor;“ liest sich, überträgt man den japanischen Satzbau Ōgai Mori Rintarōs Wort für Wort ins Deutsche, wie folgt:

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Oshios Nachtlied

Prof. Oshio

Prof. Oshio

Professor OSHIO Takashi 小塩節, Germanist und ehemaliger Diplomat, hielt heute in der Japanischen Botschaft einen Vortrag: “Goethe und die Japaner”. Bereits die Wahl des Titels verriet, daß es sich bei der Rede um einen populärwissenschaftlichen Vortrag handeln mußte, denn “den Japanern” begegnet man eigentlich ausgesprochen selten.

In sehr liebevollem Ton und äußerst unterhaltsam rezitierte Prof. Oshio Goethes “Wanderers Nachtlied” in drei Sprachen, hob besonders bewegene Worte und Stimmungen darin hervor und zog einen Vergleich zu Matsuo Bashō, in dem er die These vertrat, daß die beiden Dichter ähnlich “musikalisch” dichteten. Auch streute er Anekdoten aus seiner Zeit als Übersetzer ein, legte eine preisverdächtige Thomas-Mann-Imitation hin und sang mit klarer Stimme drei Lieder. Erfuhr man zwar wenig über “Goethe und die Japaner”, so doch zumindest vieles über “Goethe und den Japaner”.

Guo Moruos Faust-Übersetzung

Guo Moruos Faust - Ausgabe von 1934

Guo Moruos Faust - Ausgabe von 1934

Für den Vergleich der beiden Faustübersetzungen von Mori und Guo habe ich die Originaltext noch einmal verschriftlicht und stelle sie hier hinein, damit diese, bisher im Internet noch nicht vorhandenen Schriften auch anderen interessierten Lesern zugänglich werden.

哲理呀 ……

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Mori Rintarō Ōgais Faust-Übersetzung

Fuzanbo-Originalausgabe

Fuzanbo-Originalausgabe

In meiner Arbeit werde ich aller Voraussicht nach den Eingangsmonolog von Faust (“Nacht”) in der Übersetzung von Ōgai Mori Rintarō und Guo Moruo untersuchen. Da Moris Übersetzung nicht in der Originalfassung im Internet zu finden ist, habe ich sie hier einmal für Interessierte bereitgestellt:

はてさて、……

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