Mehr als zwei Jahre sind seit dem letzten Eintrag vergangen, obwohl (oder gerade weil) so viel passiert ist. In einer Mischung aus medias in res und Rückschau beginne ich mit einer kleinen, tagesaktuellen Meldung: Das Buch “Die Aosawa-Morde” von Riku Onda, das ich vor zwei Jahren übersetzt habe, hat es auf die Krimi-Bestenliste des Jahres 2022 ganz nach oben geschafft.
Nicht selten bekomme ich Rückmeldungen, die nahelegen, dass die Erzählweise den Leser:innen viel abverlangt. Man kann sich erst im Laufe eines Kapitels orientieren, wer denn da eigentlich spricht und worüber. Aber gerade dieser Kniff macht das Buch so reizvoll: Da von den Hauptfiguren niemand mehr am Leben oder zu sprechen ist, wird der Mordfall von Nebenfiguren rekonstruiert, die in Form von Interviews ihren Auftritt haben. Interviews, denen der Interviewer fehlt, so dass allein die Randfiguren selbst in Monologform zum Sprechen kommen.
Mich freut es, dass dem Roman diese Aufmerksamkeit zuteil wird, denn er zieht seinen Reiz nicht aus spektakulärem Inhalt, sondern geschicktem Aufbau – einer Spezialität von Frau Onda, wie wir sicherlich in den kommenden Jahren sehen werden.
Das Titelbild der deutschen Ausgabe von “Die Aosawa Morde”
Japanisch-Deutsche Begegnungen sind uns in Deutschland naturgemäß häufiger aus der deutschen Perspektive zugänglich; Reiseberichte sind spannend, weil sie die Fremde beschreiben. Dabei kann der Blick auf uns durch fremde Augen ebenso anregend wirken. Das beweisen die im Iudicium-Verlag unter dem Titel „als hättest Du ein Stück Japan eingepackt“ erschienenen Briefe von Ayano Mutsuko. Es sind Zeugnisse, die sie während ihres Deutschlandaufenthalts für ihre Familie verfasst hat. Die Bespiegelung ist nicht das einzige Reizvolle an diesem Buch.
Das Leseerlebnis wird durch die vorweggeschickte Information eingetrübt, dass Frau Ayano den Abschluss ihres Deutschland-Aufenthaltes nicht erlebt hat: Sie erlag den Verletzungen, die ihr bei einem Raubüberfall zugefügt wurden. Die junge Frau, die man durch die Briefe kennenlernt, ist ein offener, lebensfroher, kommunikativer Mensch, dessen Lebensmut und Lerneifer bezaubert. Mit der beklemmenden Nachricht jedoch lesen sie sich bittersüß.
Hilaria Gössmann und Maren Haufs-Brusberg (Hrsg.) „als hättest du ein Stück Japan eingepackt“. Briefe von Mutsuko Ayano aus ihrer Studienzeit in Deutschland. München: Iudicium 2020.
Während ihre ersten Briefe noch durch typische Kulturschock-Erlebnisse geprägt sind, nimmt die junge Studentin die Komplexität der deutschen Gesellschaft im Verlauf der Ereignisse spürbar stärker wahr. Zu Beginn sind die Geschlechterverhältnisse ein Thema, das sie viel beschäftigt. Sie fühlt sich gezwungen zu erklären, dass es nichts „Unsittliches“ habe, wie in Deutschland unverheiratete Paare zusammenleben. Später treten diese Beobachtungen in den Hintergrund, und die zunehmende Tiefe der Reflexion auch zu ihrer eigenen Person ist spannend mitzuerleben.
Die Briefe wurden in Japan bereits herausgegeben, die deutsche Übersetzung entstand aus Rohübersetzungen von Studierenden der Universität Trier. Ihr lebhafter und zeitgemäßer Stil liest sich natürlich, die gelegentlich in Klammern eingefügten Ergänzungen stören nur wenig. Die Einleitung bettet das Leseerlebnis ein, und bevor man die Gelegenheit hat, sich „befremdet“ zu fühlen, wird diese Erfahrung, mit Bitte um kulturelle Offenheit, abgefedert. Dankenswerterweise erhält man auch kleine Einblicke in die Übersetzungs-Prinzipien. Ebenfalls interessant ist, die Briefe der anderen aus dem, was Frau Ayano geschrieben hat, zu rekonstruieren – gerade wie in einem Briefroman.
Zunächst mag es bemerkenswert scheinen, wie das Vermächtnis einer jungen Studentin gewürdigt wird – sogar eine Straße wurde in Trier nach ihr benannt. Wer den Briefwechsel gelesen hat, ahnt den Grund: Ihre Liebenswürdigkeit strahlt schon durch die Briefe und ihre Begeisterungsfähigkeit ist anstreckend. Es ist daher kein Wunder, dass vielen Menschen daran gelegen war, sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen – schön, dass hier ein weiterer Schritt dazu getan wurde.
Das Ekô-Haus in Düsseldorf zeigt m 29. 10. um 14 Uhr Inoue Hisashis Drama “Chichi to kuraseba”, zu deutsch als “Die Tage mit Vater” oder “Das Gesicht des Jizô” bekannt. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, diesen Film in Deutschland zu sehen.
Seit Juni 2020 habe ich das große Vergnügen, an der Mori-Ôgai-Gedenkstätte als Referentin für Bildungsarbeit tätig zu sein. Ich freue mich sehr, zu meinem Forschungsgegenstand zurückzukehren und nun viel tiefer eintauchen zu können, zusammen mit dem wissenschaftlichen Leiter Dr. Harald Salomon, unserer Recherche-Mitarbeiterin und den SHKs Veranstaltungen zu planen, Texte zu erschließen, Medien und Räume zu gestalten.
Am liebsten hätte ich hier auch gleich den Termin unserer Öffnung nach der Pandemie-bedingten Schließung preisgegeben, aber da der nicht absehbar ist, gibt es heute nur diese kleine Ankündigung. Wer hier nicht schon genug über mich gelesen hat, kann sich den Vorstellungstext im aktuellen Newsletter des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin ansehen, in dem auch die Verabschiedung der ehemaligen Kuratorin der Stätte zu finden ist. Im Herbst gibt es hoffentlich auch wieder die Gelegenheit, persönlich in der Luisenstraße 39 vorbeizuschauen.
Manche verpasste Chance lässt sich nicht nachholen im Leben. Seit mir 2011 von allen Seiten abgeraten wurde, eine kulturwissenschaftliche Dissertation über den Umgang mit Exkrementen in Japan zu schreiben (“Nicht, wenn Sie an der Uni etwas werden wollen!”), trauerte ich diesem abgebrochenen Zweiglein meines Forschungsbaums ein wenig nach. Um so mehr freue ich mich, wenn andere Forscher forscher sind und diese Arbeit in Angriff nehmen.
So Dr. Marta E. Szczygiel, Post Doc an der soziologischen Fakultät der Tokyo Universität. Vor drei Jahren habe ich am quantitativen Teil ihrer Studie teilgenommen; einer Umfrage mit dem Titel “Discovery of Embarrassment: Social and Cultural Construction of Excrement in Japan. Foreigners’ Attitudes Toward Manifestations of Excrement in Japan”. Nun erschien der daraus hervorgegangenen Aufsatz “Understanding Relatively High Social Visibility of Excrement in Japan” in der Zeitschrift Silva Iaponicarum fasc. 60/61.
Der Aufsatz ist unterhaltsam und lesenswert, gerade, wenn das Thema noch unbekannt ist. Szczygiel kontrastiert europäisch-amerikanische und japanische Haltungen zum Thema und zeigt viele Beispiele. Doch mir scheint, auf die Frage, warum in Japan das Thema Ausscheidung so wenig tabuisiert wird, gibt der Artikel nur oberflächliche Antworten. Eine Fährte ist die weit verbreitete Beobachtung von Fäkalien unter gesundheitlichem Aspekt, die Szczygiel bis in die Meiji-Zeit zurückverfolgt.
Doch auch in der Edo-Zeit, wie inzwischen in vielerlei japanischer Forschung gut dokumentiert, gab es intensive Auseinandersetzung, Illustration, Regulation, Scherz und Kommerz mit den menschlichen Ausscheidungen und Flatulenz. Allein vom hinterbliebenen Textvolumen ist davon auszugehen, dass diese Themen auch damals schon lockerer angegangen wurden als hierzulande.
Zugegeben, die Frage des “warum” ist keine leichte und lässt sich vermutlich nicht abschließend klären. Bis dahingehende Forschung erschienen ist, ist der obige Artikel schon einmal kein schlechter Anfang.
In einem Naturkosmetikladen in Heidelberg gibt es diese Postkarte zu erstehen:
Das wirft so viele Fragen auf.
Wer ist die Zielgruppe? Japanische Touristen, die verstehen, dass da in ungelenker Ausdrucksweise “Ich war in Heidelberg” steht – ein Satz, der so nie auf einer in Japan produzierten Postkarte stehen würde?
Warum dann kein Bild von Heidelberg? Wirklich Kirschblüten-Japanflagge und dieser Satz?
Oder richtet sich die Karte doch an Deutsche? Die hängen sie sich an die Pinnwand und denken, da steht: “In der Ruhe liegt die Kraft”?
Wenn sie aber an Deutsche gerichtet ist, womöglich an Heidelberger, warum jagt man dann “Ich war in Heidelberg” durch die Übersetzungsmaschine?
Die Naturkosmetik da ist zum Glück völlig in Ordnung.
As part of our DAAD-JSPS Kyoto-Heidelberg Joint Research Project, I will hold a talk about a part of my dissertation concerning Inoue Hisashi’s early work. If you have the time, visit us at Karl Jaspers Centre in Heidelberg on the 9th of November, room 212, starting at 9 o’clock.
Abstract
Inoue Hisashi’s preoccupation with the Edo period Gesaku literature has earned him a reputation as a Neogesaku writer. Almost all his Gesaku works focus on the authors of this pre-modern entertainment literature, be it the drama The Inner and Outer Gennai Frog War (Omote ura Gennai kaeru gassen『表裏源内蛙合戦』, 1971), dedicated to the life of Hiraga Gennai, or the Naoki Prize-winning novel Handcuffed Double Suicide (Tegusari shinjū『手鎖心中』, 1972), which also takes the topoi and plot from a kibyōshi of Santō Kyōden.
In the collection Life Stories of Gesaku Literati (Gesaku sha meimei den『戯作者銘々伝』, 1979) each story is dedicated to one writer – to whom, and in which way his life or work comes to light, remains unclear to the end. What makes this collection unusual is that each story is a conversation of which only the text of one of the speakers is offered to read. It is the reader’s responsibility to find the narrator, the addressee and the subject in the course of the narrative from the information left behind in the text. A certain degree of literary-historical background knowledge is advantageous – the fact that the narratives nevertheless inspire reflection and entertain is due to literary techniques, some of which I would like to present and analyze in the talk.
CANUT e. V. und derFachbereich Japanologie der Universität Tübingen haben mich in Kooperation mit Praxis & Beruf der Philosophischen Fakultät eingeladen, einen Vortrag zu meiner Arbeit als Übersetzerin von Manga und Anime zu halten. Ich freue mich auf Tübingen und einen interessanten Abend.
Vor zwei Jahren wurde ich das erste Mal von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Bielefeld eingeladen, einen Vortrag zu halten, damals noch über ein Edo-zeitliches Thema, die kibyōshi. Dieses Mal wurde ich gebeten, über die Besonderheiten der Übersetzung von Manga und Anime zu sprechen – seit dem großen Erfolg von „Your Name.“ vor einem Monat war das die erste von bisher drei Anfragen dazu; es scheint fast, als stehe mir eine Art Vortrags-Tour bevor.
Ich freue mich, wieder in der freundlichen und offenen Atmosphäre der Veranstaltungen der DJG Bielefeld sprechen zu können – vielen Dank besonders an die Präsidentin Gesa Neuert. Die Veranstaltung ist für alle zugänglich.
Datum: 19. April 2018
Zeit: 19:00 – 21:30
Veranstalter: Deutsch-Japanische Gesellschaft Bielefeld e.V.
Ort: Volkshochschule Bielefeld