Diener zweier Herren

Gretchen stellt ihre Frage

Gretchen stellt ihre gleichnamige Frage

Jedem Übersetzer stellt sich spätestens bei der genaueren Ausformulierung des übersetzten Textes die – um beim Gegenstand zu bleiben – Gretchenfrage: Für wen schreibt man die Übersetzung? Die Antworten können so vielfältig sein wie die Leser: es läßt sich schreiben für sprachliches Fachpublikum, Philologen, Historiker, Ethnologen und so weiter und so fort, nicht zuletzt auch für gänzlich unbedarfte Leser, die sich einfach einen schönen, flüssig zu lesenden Text wünschen.

Die zwei interessantesten Fragen, die man mit einer Rückübersetzung zu beantworten versuchen kann, sind selbstverständlich: Wie gut übersetzt der Autor? und  Wie läßt sich der Originaltext in der Fremdsprache umsetzen? Diese beiden Fragen auf einmal beantworten zu wollen, bringt ein Dilemma mit sich: Möchte man die, womöglich gut gelungene, Übersetzung in ihrer sprachlichen Schönheit darstellen, muß man die Rückübersetzung wiederum in einen wohlklingenden Text verwandeln. Möchte man allerdings möglichst viel vom originalen Satzbau der Übersetzung durchscheinen lassen, so tut man dem Deutschen zwangsläufig, zumal bei entfernten Sprachen, Gewalt an.

Ein Beispiel sei genannt: Der zweite Vers Faustens bekannten Ausspruchs „Da steh’ ich nun, ich armer Tor! / Und bin so klug als wie zuvor;“ liest sich, überträgt man den japanischen Satzbau Ōgai Mori Rintarōs Wort für Wort ins Deutsche, wie folgt:

dennoch nichts nicht-gemacht früher mehr-als, auch-wenig bedeutend nicht-geworden

(その癖なんにもしなかつた昔より、ちつともえらくはなつてゐない。)

Für Sprachwissenschaftler ist das sicher lohnender Stoff – alle anderen werden, erschaudernd, versuchen, die Arbeit so schnell wie möglich wieder aus der Hand zu legen.

Bei der Rückübersetzung von Moris „Faust“ versuche ich mich deswegen an einem Kompromiß: weitgehende Beibehaltung des japanischen Satzbaus bei Wahrung eines natürlichen Stils. Wie man sich vorstellen kann, bedeutet das, daß die Rückübersetzung letztlich weder optimal den japanischen Stil aufzeigt, noch außerordentlich schön ist. Ihre Berechtigung hat sie wohl dennoch darin, daß Mori bei seiner Übersetzung 1913 äußerst genau den japanischen Satzbau und die Versaufteilung an Goethe ausrichtete – vieles kann also ohne größere Schwierigkeiten zurückübertragen werden, ohne grammatische Gefühle allzu sehr zu verletzen.

Vom Satzbau abgesehen, ergeben sich auch bei einzelnen Wörtern Schwierigkeiten, wie ich wiederum an einem Beispiel illustrieren möchte. Nehmen wir an, Goethe benutzt das Wort „klug“. Mori wählt dabei eines der in Frage kommenden Wörter, das Wort erai, das eine Vielzahl an Bedeutungen trägt, unter anderem: „außergewöhnlich“, „furchtbar“, „unerwartet“, „groß“, „zahlreich“, „von hohem gesellschaftlichen Status“, „prächtig“; unter Umständen kann man es auch als „klug“, manchmal sogar mit „brav“ übersetzen. Wie nun verfährt man bei der Rückübersetzung? Hat man die Absicht, aufzuzeigen, daß Mori hier „richtig“ übersetzt hat, schreibt man wohl wieder „klug“; ist das Ziel, der Vielfalt der japanischen Sprache Rechnung zu tragen, wählt man möglicherweise ein plausibler erscheinendes Wort.

Hier habe ich jeweils entschieden, wiederum das Goethesche Originalwort zu wählen, wenn Moris Übersetzung in seiner Hauptbedeutung (oder einer seiner Hauptbedeutungen) mit ihm übereinstimmt, um so dem geneigten Leser zu zeigen, daß Mori „richtig“ übersetzt hat. Doch wie überall bei Übersetzung, die nicht nur unterhalten will, bleibt auch hier die Anmerkung unerläßlich und die einzige Möglichkeit, mehr als nur einen winzigen Teil des Ganzen darzustellen.