Wege nach Rom

Chinesisches Reimwörterbuch

Chinesisches Reimwörterbuch

Romanisierung, das heißt Umschreiben von Schriftzeichen in die lateinische Schrift, kann sowohl für chinesische als auch für japanische Texte eine nervenzermürbende Übung sein. Gerade bei Gedichten und natürlich auch bei Versdramen ist aber neben der Übertragung des Inhalts auch die der Form ein interessanter Untersuchungsgegenstand, und ein Rhythmus läßt sich nur dann feststellen, wenn man weiß, wie diese Zeichen eigentlich ausgesprochen werden sollen – man kommt also nicht um die Romanisierung.

Dem Übersetzer stellen sich auf seinem Weg nach Rom allerdings einige Hindernisse: An einem chinesischen bzw. sino-japanischen Schriftzeichen läßt sich nämlich nicht die Aussprache, nur bestenfalls der Sinn ablesen. Auch, wenn einige Zeichen lautbeschreibende Elemente haben, so hat sich die Sprache in den über 3000 Jahren chinesischer Schriftgeschichte inzwischen so weit verändert, daß es nicht mehr möglich ist, die genaue Aussprache oder gar den Ton oder Tonhöhenakzent daran abzulesen. Dafür gibt es ja die Wörterbücher, möchte man meinen: doch schon im Chinesischen, in dem es doch für ein Zeichen heute selten mehr als eine Aussprache gibt, kommt man da schnell in Schwierigkeiten.

Ist zwar offiziell die Rede davon, daß in ganz China ein „Chinesisch“ gesprochen wird, so sieht doch die Realität, in einer jeden Studenten dieser Sprache erschütternden Weise, anders aus. Die stark von einander abweichenden Dialekte, für die es nicht nur eigene Aussprachen der Wörter gibt, sondern mitunter eigene Grammatiken, lassen sich kaum unter dem Schlagwort „Chinesisch“ vereinen. Heute, zur Zeit des Fernsehens und der fortgeschrittenen Popularisierung von Putonghua, der chinesischen Hochsprache, hat sich zwar einiges umlernen und gewöhnen können, doch wie behandelt man Dichtung, die davor entstanden ist? Wie man ein Zeichen ausspricht, hängt häufig davon ab, in welchem Dialekt und mit der Aussprache welcher Epoche es verfaßt worden ist. Über dieses Problem macht sich die chinesische Philologie schon seit dem dritten Jahrhundert v. u. Z. Gedanken und hat allerlei Wörterbücher zusammengestellt, die anhand des Vergleichs mit anderen Zeichen die Aussprachen aller Zeichen versuchen zu beschreiben. Der Übersetzer freut sich über all die Wörterbücher, aber er freut sich nicht darüber, jedes Zeichen einzeln überprüfen zu müssen.

In Japan ist die Lage noch etwas vertrackter. In der Regel hat jedes sino-japanische Zeichen nicht eine, sondern zahlreiche verschiedene Aussprachen, die über die japanische Sprache und den mehrfachen Kulturkontakt mit China und Korea zustande gekommen sind. Nimmt man zum Beispiel die Selbstbezeichnung Faustens in Moris Übersetzung, das Zeichen 己, so finden sich im großen Wörterbuch „Nihon Kokugo Daijiten“ 14 Lesungen: unu, odore, onu, ono, onore, ora, ore, ondore, KI, KO, SHI, tsuchinoto, na und nno, im „Daijirin“ kommt noch die Lesung ura dazu. Hat man sich all die Einträge und Erklärungen dazu durchgelesen, so kommt man möglicherweise auf die Idee, daß onore die wahrscheinlichste Lesung ist. Rücksprache mit einem Muttersprachler brachte hier vorerst Bestätigung, aber als Professor AOYAGI Kōichi so freundlich war, den Eingangsmonolog einmal laut zu lesen, wurde aus dem richtig geglaubten onore auf einmal ein ore. Was war geschehen? Professor Aoyagi deckte auf: Lese man das Zeichen ohne zu sprechen, so würde man wohl onore denken, doch beim Vortrag klinge ein wiederholtes onore unnatürlich, weswegen man es laut ore lese.

Selbst Wörter, die aus mehreren Zeichen zusammengesetzt sind, können Schwierigkeiten bereiten: Ist die Steinmauer 石壁 nun eine ishikabe oder eine SEKIHEKI? Niemand kann das sagen, nicht mal ein Professor Aoyagi. Aber wir wissen: Alle Wege führen nach Rom – ob man das Wort nun als ishikabe oder SEKIHEKI transkribiert – wer will das schon kritisieren?

2 Kommentare

  1. Hm… das mit dem Japanischen hat doch aber nichts direkt mit Romanisierung zu tun, meine ich. ;) Du könntest es ja auch im Japanischen nicht laut lesen, solange die Furigana nicht gegeben sind – wobei es natürlich für eine reine Übersetzung nicht so wichtig ist (meistens).

  2. Genau, da fängt natürlich das Problem schon an. In meiner Arbeit, wo ich ja eine komplette Romanisierung anfertige für literarisch Interessierte oder Sprachwissenschaftler, die Japanisch nicht lesen können, stoße ich dadurch immer wieder auf Probleme – unpraktischerweise hat Mori nicht überall Furigana gesetzt…

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