„als hättest du ein Stück Japan eingepackt“

Japanisch-Deutsche Begegnungen sind uns in Deutschland naturgemäß häufiger aus der deutschen Perspektive zugänglich; Reiseberichte sind spannend, weil sie die Fremde beschreiben. Dabei kann der Blick auf uns durch fremde Augen ebenso anregend wirken. Das beweisen die im Iudicium-Verlag unter dem Titel „als hättest Du ein Stück Japan eingepackt“ erschienenen Briefe von Ayano Mutsuko. Es sind Zeugnisse, die sie während ihres Deutschlandaufenthalts für ihre Familie verfasst hat. Die Bespiegelung ist nicht das einzige Reizvolle an diesem Buch.

Das Leseerlebnis wird durch die vorweggeschickte Information eingetrübt, dass Frau Ayano den Abschluss ihres Deutschland-Aufenthaltes nicht erlebt hat: Sie erlag den Verletzungen, die ihr bei einem Raubüberfall zugefügt wurden. Die junge Frau, die man durch die Briefe kennenlernt, ist ein offener, lebensfroher, kommunikativer Mensch, dessen Lebensmut und Lerneifer bezaubert. Mit der beklemmenden Nachricht jedoch lesen sie sich bittersüß.

Hilaria Gössmann und Maren Haufs-Brusberg (Hrsg.) „als hättest du ein Stück Japan eingepackt“. Briefe von Mutsuko Ayano aus ihrer Studienzeit in Deutschland. München: Iudicium 2020.

Während ihre ersten Briefe noch durch typische Kulturschock-Erlebnisse geprägt sind, nimmt die junge Studentin die Komplexität der deutschen Gesellschaft im Verlauf der Ereignisse spürbar stärker wahr. Zu Beginn sind die Geschlechterverhältnisse ein Thema, das sie viel beschäftigt. Sie fühlt sich gezwungen zu erklären, dass es nichts „Unsittliches“ habe, wie in Deutschland unverheiratete Paare zusammenleben. Später treten diese Beobachtungen in den Hintergrund, und die zunehmende Tiefe der Reflexion auch zu ihrer eigenen Person ist spannend mitzuerleben.

Die Briefe wurden in Japan bereits herausgegeben, die deutsche Übersetzung entstand aus Rohübersetzungen von Studierenden der Universität Trier. Ihr lebhafter und zeitgemäßer Stil liest sich natürlich, die gelegentlich in Klammern eingefügten Ergänzungen stören nur wenig. Die Einleitung bettet das Leseerlebnis ein, und bevor man die Gelegenheit hat, sich „befremdet“ zu fühlen, wird diese Erfahrung, mit Bitte um kulturelle Offenheit, abgefedert. Dankenswerterweise erhält man auch kleine Einblicke in die Übersetzungs-Prinzipien. Ebenfalls interessant ist, die Briefe der anderen aus dem, was Frau Ayano geschrieben hat, zu rekonstruieren – gerade wie in einem Briefroman.

Zunächst mag es bemerkenswert scheinen, wie das Vermächtnis einer jungen Studentin gewürdigt wird – sogar eine Straße wurde in Trier nach ihr benannt. Wer den Briefwechsel gelesen hat, ahnt den Grund: Ihre Liebenswürdigkeit strahlt schon durch die Briefe und ihre Begeisterungsfähigkeit ist anstreckend. Es ist daher kein Wunder, dass vielen Menschen daran gelegen war, sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen – schön, dass hier ein weiterer Schritt dazu getan wurde.