Santō Kyōdens »Kimyō zui« in der Vorlesung von Prof. Nobuhiro Shinji

Auf den ersten Blick sieht man den Wachturm von Yoshiwara - der zweite Blick enthüllt ein Stück Tofu in einer Schale

Auf den ersten Blick sieht man den Wachturm von Yoshiwara - der zweite Blick enthüllt ein Stück Tofu in einer Schale

Vom 19. bis 22. Dezember hielt der emiritierte Professor der Tōkyō-Universität, Nobuhiro Shinji 延広真治, an der Universität Osaka eine Intensiv-Vorlesung über Santō Kyōdens »Kimyō zui« 『奇妙図彙』. Das Buch enthält, nach einer kurzen Einleitung, eine Reihe Bilderrätsel, die aus Schriftzeichen oder alltäglichen Gegenständen in ungewohnter Perspektive entstanden sind und immer eine intelligente Wendung enthalten.

Dem Gesaku-Schriftsteller Kyokutei Bakin war es nicht gelungen, mit seinen auf Edo (heute Tokyo) ausgerichteten Büchern auch Leser in Kyoto zu gewinnen. Sein Zeitgenosse Kyōden, dem eine Konkurrenz mit ihm nachgesagt wird, versuchte, mit diesem auf Bildspielen basierendem Gesaku-Werk die kulturelle Entfernung zu überbrücken.

Wie Prof. Nobuhiro demonstrierte, steckt hinter jedem der Bilder nicht nur das bloße Rätsel, sondern ist jede Seite mit zahlreichen Anspielungen und Verweisen gespickt, zu deren Aufdeckung tiefgründiges Wissen um die Edo-Sitten und -Schauplätze und um klassische Werke und Schriften aus Kyōdens Lebzeiten von Nöten sind. So neigte sich für die Erklärung einer einzigen Seite nicht selten eine ganze Stunde ihrem Ende zu. Mir zeigte die Vorlesung vor allem, wie weit man davon entfernt ist, in der nicht-japanischen Japanologie Gesaku-Werke begreifen zu können: Um ein erstes zu verstehen, benötigt man schon die Kenntnis der anderen, mit denen es im Austausch steht.

Photographien des Buches lassen sich auf der Webseite der Waseda-Universität herunterladen.

6 Kommentare

  1. Das liest sich spannend.

    Also ist jede Seite für zwar ein eigenständiger Teil für sich, aber doch benötigt man diese um die nächste zu verstehen? Habe ich es richtig verstanden?

    :)

  2. Da habe ich mich undeutlich ausgedrückt, obwohl das auch zum Teil zutrifft. Aber viele der Bilder, genauso wie auch das meiste der Edo-zeitlichen Gesaku-Schriften, bestehen aus Anspielungen auf andere Werke, zeitgleich oder zuvor entstanden sind. Man könnte sagen, das war zu Beginn eine Art Autoren-Clique, die lauter Insider-Anspielungen gemacht hat.

  3. Hej. Mensch Nora, das hört sich ja mächtig schwierig an, so ein Kurs. Nicht nur die Materie, sondern auch das mit dem eremitierten Tôdai Prof. (<- Ich entsinne mich einer Vorlesung so eines alten Profs und ich hab nur Bahnhof verstanden, weil der Typ schnell und leise sein Manuskript vorlas und dabei auch noch genuschelt hat. bah) Da bekommst du auf jeden Fall ein Bienchen für! ;) Jut jemacht. *auf die Schulter klopf*
    Das mit der Intertextualität dieser Stories ist auch sehr spannend! Ich persönlich steh nicht nur aus wissenschaftlicher, sondern auch aus leserischer Sicht (d.h. als Konsument) total auf sowas. Ist ja nun auch in der interkulturellen Kommunikation bez. Rezeption kultureller Werke gleichweder Art von Bedeutung. Will sagen: das ist doch das Problem nicht nur bei Edo-Literatur, sondern auch bei der Rezeption japanischer "Contents" gleich weder Art. Der gesamte kulturelle Rahmen fehlt (in der Regel) und muss sich erst mühsam erarbeitet werden – und selbst dann bleiben bestimmte Assoziationen und Gefühle im Bereich des nicht nachvollziehbaren. Wenn dann noch die zeitliche Dimension dazu kommt, v.a. vor dem Hintergrund des rapiden Modernisierungsprozesses, dann ist schon klar, dass du (oder wer auch immer) wohl vor diesem Text sitzen wirst wie ich als 15-Jährige vor der orginalsprachlichen Nibelungen Saga. (Oder ein Durchschnittsmann vorm indischen Liebeslied: "Welche Fee, verdammt noch mal?!" *face palm*)… Ja. Da kann ich nur sagen: Ganbatte, nebatte, jia you und halt dabei auch noch die Ohren steif! (Und mach dann ein Foto davon.) :)

  4. Ja, das ist tatsächlich das Problem bei japanischer Literatur, oder überhaupt von Literatur aus entfernten Kulturkreisen. Andererseits macht es auch die Beschäftigung damit besonders spannend, weil man anhand eines kurzen Werkes gleich eine ganze Welt erschließen kann. Und bei einer wiss. Übersetzung ist dann auch für den Leser so viel mehr zu entdecken, als nur der literarische Genuß – der dann, das ist ja leider so, meistens nur vermittelt eintreten kann.

  5. Ja. Ich glaube, ich sollte mich dazu erst wieder äußern, wenn ich meinen momentanen (Projektbedingten und aus Verzweiflung geborenen) fanatischen Hass auf’s Übersetzen, insbesondere des Japanischen in westliche Sprachen, überwunden habe. o_ô

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