Goethe: Chinesisches

Goethe 1819

Goethe 1819

Wenn auch mannigfaltige Aufgaben mich daran hindern, heute Eigenes zu veröffentlichen, möchte ich doch der Allgemeinheit einen kleinen Dienst tun und die bisher im Internet nicht auffindbaren Übersetzungen chinesischer Gedichte, die Goethe in dem Aufsatz Chinesisches 1827 in Über Kunst und Altertum veröffentlichte hier austellen. Die enthaltenen Gedichte übersetzte Goethe aus Thoms’ englischer Fassung The Song of a Hundred Beautiful Women.

Chinesisches

Nachstehende, aus einem chrestomathisch-biographischen Werke, das den Titel führt: „Gedichte hundert schöner Frauen”, ausgezogene Notizen und Gedichtchen geben uns die Überzeugung, daß es sich trotz aller Be­schränkungen in diesem sonderbar-merkwürdigen Reiche noch immer leben, lieben und dichten lasse.

Fräulein See-Yaou-Hing

Sie war schön, besaß poetisches Talent, man bewunderte sie als die leichteste Tänzerin. Ein Verehrer drückte sich hierüber poetisch folgendermaßen aus:

Du tanzest leicht bei Pfirsichflor
Am luftigen Frühlingsort:
Der Wind, stellt man den Schirm nicht vor,
Bläst euch zusammen fort.

Auf Wasserlilien hüpftest du
Wohl hin den bunten Teich;
Dein winziger Fuß, dein zarter Schuh
Sind selbst der Lilie gleich.

Die andern binden Fuß für Fuß,
Und wenn sie ruhig stehn,
Gelingt wohl noch ein holder Gruß,
Doch können sie nicht gehn.

Von ihren kleinen goldbeschuhten Füßchen schreibt sich’s her, daß niedliche Füße von den Dichtern durchaus goldne Lilien genannt werden, auch soll dieser ihr Vorzug die übrigen Frauen des Harems veranlaßt haben, ihre Füße in enge Bande einzuschließen, um ihr ähnlich, wo nicht gleich zu werden. Dieser Gebrauch, sagen sie, sei nachher auf die ganze Nation übergegangen.

Fräulein Mei-Fe

Geliebte des Kaisers Min, reich an Schönheit und geistigen Verdiensten und deshalb von Jugend auf merkwürdig. Nachdem eine neue Favoritin sie verdrängt hatte, war ihr ein besonderes Quartier des Harems eingeräumt. Als tributäre Fürsten dem Kaiser große Geschenke brachten, gedachte er an Mei-Fe und schickte ihr alles zu. Sie sendete dem Kaiser die Gaben zurück, mit folgendem Gedicht:

Du sendest Schätze, mich zu schmücken!
Den Spiegel hab ich längst nicht angeblickt:
Seit ich entfernt von deinen Blicken,
Weiß ich nicht mehr, was ziert und schmückt.

Fräulein Fung-Sean-Ling

Den Kaiser auf einen Kriegszug begleitend, ward sie nach dessen Niederlage gefangen und zu den Frauen des neuen Herrschers gesellt. Man verwahrt ihr Andenken in folgendem Gedicht:

Bei geselligem Abendrot,
Das uns Lied und Freude bot,
Wie betrübte mich Seline!
Als sie, sich begleitend, sang
Und ihr eine Saite sprang,
Fuhr sie fort mit edler Miene:
„Haltet mich nicht froh und frei;
Ob mein Herz gesprungen sei,
Schaut nur auf die Mandoline.”

Kae-Yven

Eine Dienerin im Palaste. Als die kaiserlichen Truppen im strengen Winter an der Grenze standen, um die Rebellen zu bekriegen, sandte der Kaiser einen großen Transport warmer Monturen dem Heere zu, davon ein großer Teil in dem Harem selbst gemacht war. Ein Soldat fand in seiner Rocktasche folgendes Gedicht:

Aufruhr an der Grenze zu bestrafen,
Fechtest wacker, aber nachts zu schlafen
Hindert dich die strenge Kälte beißig.
Dieses Kriegerkleid, ich näht es fleißig,
Wenn ich schon nicht weiß, wer’s tragen sollte;
Doppelt hab ich es wattiert, und sorglich wollte
Meine Nadel auch die Stiche mehren,
Zur Erhaltung eines Manns der Ehren.
Werden hier uns nicht zusammenfinden,
Mög ein Zustand droben uns verbinden!

Der Soldat hielt für Schuldigkeit, das Blatt seinem Offizier vorzuzeigen, es machte großes Aufsehen und gelangte vor den Kaiser. Dieser verfügte sogleich eine strenge Untersuchung in dem Harem: wer es auch geschrieben habe, solle es nicht verleugnen. Da trat denn eine hervor und sagte: „Ich bin’s und habe zehntausend Tode verdient.“ Der Kaiser Yuen-tsung erbarmte sich ihrer und verheiratete sie mit dem Soldaten, der das Gedicht gefunden hatte; wobei Seine Majestät humoristisch bemerkte: „Haben uns denn doch hier zusammengefunden!” Worauf sie versetzte:

Der Kaiser schafft, bei ihm ist alles fertig,
Zum Wohl der Seinen Künftiges gegenwärtig.

Hierdurch nun ist der Name Kae-Yven unter den chinesischen Dichterinnen aufbewahrt worden.

Fräulein See-Yaou-Hing

Sie war schön, besaß poetisches Talent, man bewunderte sie als die leichteste Tänzerin. Ein Verehrer drückte sich hierüber poetisch folgendermaßen aus:

Du tanzest leicht bei Pfirsichflor

Am luftigen Frühlingsort:

Der Wind, stellt man den Schirm nicht vor,

Bläst euch zusammen fort.

Auf Wasserlilien hüpftest du

Wohl hin den bunten Teich;

Dein winziger Fuß, dein zarter Schuh

Sind selbst der Lilie gleich.

Die andern binden Fuß für Fuß,

Und wenn sie ruhig stehn,

Gelingt wohl noch ein holder Gruß,

Doch können sie nicht gehn.

Von ihren kleinen goldbeschuhten Füßchen schreibt sich’s her, daß niedliche Füße von den Dichtern durchaus goldne Lilien genannt werden, auch soll dieser ihr Vorzug die übrigen Frauen des Harems veranlaßt haben, ihre Füße in enge Bande einzuschließen, um ihr ähnlich, wo nicht gleich zu werden. Dieser Gebrauch, sagen sie, sei nachher auf die ganze Nation übergegangen.

Fräulein Mei-Fe

Geliebte des Kaisers Min, reich an Schönheit und geistigen Verdiensten und deshalb von Jugend auf merkwürdig. Nachdem eine neue Favoritin sie verdrängt hatte, war ihr ein besonderes Quartier des Harems eingeräumt. Als tributäre Fürsten dem Kaiser große Geschenke brachten, gedachte er an Mei-Fe und schickte ihr alles zu. Sie sendete dem Kaiser die Gaben zurück, mit folgendem Gedicht:

Du sendest Schätze, mich zu schmücken!

Den Spiegel hab ich längst nicht angeblickt:

Seit ich entfernt von deinen Blicken,

Weiß ich nicht mehr, was ziert und schmückt.

Fräulein Fung-Sean-Ling

Den Kaiser auf einen Kriegszug begleitend, ward sie nach dessen Niederlage gefangen und zu den Frauen des neuen Herrschers gesellt. Man verwahrt ihr Andenken in folgendem Gedicht:

Bei geselligem Abendrot,

Das uns Lied und Freude bot,

Wie betrübte mich Seline!

Als sie, sich begleitend, sang

Und ihr eine Saite sprang,

Fuhr sie fort mit edler Miene:

„Haltet mich nicht froh und frei;

Ob mein Herz gesprungen sei,

Schaut nur auf die Mandoline.”

Kae-Yven

Eine Dienerin im Palaste. Als die kaiserlichen Truppen im strengen Winter an der Grenze standen, um die Rebellen zu bekriegen, sandte der Kaiser einen großen Transport warmer Monturen dem Heere zu, davon ein großer Teil in dem Harem selbst gemacht war. Ein Soldat fand in seiner Rocktasche folgendes Gedicht:

Aufruhr an der Grenze zu bestrafen,

Fechtest wacker, aber nachts zu schlafen

Hindert dich die strenge Kälte beißig.

Dieses Kriegerkleid, ich näht es fleißig,

Wenn ich schon nicht weiß, wer’s tragen sollte;

Doppelt hab ich es wattiert, und sorglich wollte

Meine Nadel auch die Stiche mehren,

Zur Erhaltung eines Manns der Ehren.

Werden hier uns nicht zusammenfinden,

Mög ein Zustand droben uns verbinden!

Der Soldat hielt für Schuldigkeit, das Blatt seinem Offizier vorzuzeigen, es machte großes Aufsehen und gelangte vor den Kaiser. Dieser verfügte sogleich eine strenge Untersuchung in dem Harem: wer es auch geschrieben habe, solle es nicht verleugnen. Da trat denn eine hervor und sagte: „Ich bin’s und habe zehntausend Tode verdient.“ Der Kaiser Yuen-tsung erbarmte sich ihrer und verheiratete sie mit dem Soldaten, der das Gedicht gefunden hatte; wobei Seine Majestät humoristisch bemerkte: „Haben uns denn doch hier zusammengefunden!” Worauf sie versetzte:

Der Kaiser schafft, bei ihm ist alles fertig,

Zum Wohl der Seinen Künftiges gegenwärtig.

Hierdurch nun ist der Name Kae-Yven unter den chinesischen Dichterinnen aufbewahrt worden.