Manga übersetzen II: Die Wortwahl und was am Ende fehlt

mangaserie[Diese Serie behandelt die bei der Comic-Übersetzung auftretenden Sonderphänomene.]

Am stärksten unterscheidet sich die Mangaübersetzung von der Übertragung anderer Schriftwerke in der Wortwahl. Einleuchtend ist, daß durch die Größe der Sprechblasen die Länge der Sätze nicht unbegrenzt ist. Obwohl also gemeinhin ein übersetzter Text länger ausfällt als der ursprüngliche Text, muß man verkürzen und vereinfachen, bis die Länge in etwa dieselbe ist. Es kann manchmal so weit kommen, daß aus einem höflichen “Entschuldigen Sie bitte” ein flapsiges “Sorry” wird, weil einfach nicht mehr Platz is. Dabei gehen also unweigerlich Informationen oder Nuancen verloren. Es kommt aber noch schlimmer:

Haben Sie bei japanischen Comics schon einmal die Häkchen vermißt, die bei Asterix & Co. anzeigen, wer gerade spricht? Man wundert sich vielleicht, warum japanische Zeichner es damit nicht so eng sehen. Die Erklärung dafür bin ich nicht gern länger schuldig: Figuren japanischer Manga haben in der Regel eine ausgeprägt personenspezifische Sprache. Durch die Signale, die von Satzenden oder vom Gebrauch der Personalpronomina und Verben ausgehen, ist es Lesern möglich, die Sprechblasen eindeutig zuzuordnen. Im Deutschen läßt sich diese Personalisierung nur schwer, meistens aber gar nicht nachahmen – so kommt es, daß man manchmal rätseln muß, von welcher Figur das Gesprochene ausgeht.

Ähnlich einem Drama handelt es sich beim Text der Mangaübersetzung nahezu ausschließlich um Gesprochenes. Im Gegensatz aber zu Dramentexten schließt sich in den meisten Mangagenres eine gehobene Sprache aus, da sie von deutschen Lesern als unnatürlich empfunden wird. Das heißt natürlich nicht unbedingt, daß sie auch von japanischen Lesern als unnatürlich empfunden wird. Der Erwartungshaltung muß jedoch bei einem so auf Massenkonsum ausgelegtem Genre öfter genüge getan werden, als dem Übersetzer lieb ist, denn archaische Redeweisen oder plötzlich vorgetragene, schriftsprachliche Passagen sorgen beim Leser in Deutschland in der Regel nur für Verwirrung. Auch unerwartet höfliche Rede, die im Japanischen neben dem Offensichtlichen auch Ironie oder Boßhaftigkeit ausdrücken kann, bleibt einem Leser aus westlichem Kulturkreis oft unverständlich. Mit anderen Worten: Das sprachliche Level wird bei der Übersetzung angeglichen und verflacht. So unerfreulich ist manchmal das Übersetzerleben.